Anm.: Dieser Artikel ist im Original in der SHARK NEWS 14 März 2002 erschienen.
Die Übersetzung stammt von Andreas Ochs. Bedanken möchte ich mich bei Patricia Charvet-Almeida für die Erlaubnis zum Übersetzen und Veröffentlichen an dieser Stelle.


Neotropische Süßwasserrochen: Diversität und Schutzstatus


Patricia Charvet-Almeida1, Maria Lúcia Góes de Araújo2, Ricardo S. Rosa3 and Getúlio Rincón4
1MPEG, Belém; 2UA, Manaus; 3UFPB, Joćo Pessoa; 4UNESP, Rio Claro, Brazil

(die Reihenfolge der Autoren deutet nicht auf den Umfang ihres Beitrags zu diesem Artikel hin)


Diversität
Die Familie Potamotrygonidae, Garman 1877 umfasst Süßwasserrochen, deren Verbreitung auf Südamerika begrenzt ist. Sie leben in verschiedenen Flußsystemen die in den Atlantik entwässern und einige Arten dringen bis in die Mündungsgebiete vor. Der taxonomische Status der Gruppe wird in der Literatur seit einigen Jahren eifrig diskutiert, einige Autoren betrachten sie als eine monophyletische Familie (Thorson et al. 1983, Rosa et al. 1987, Lovejoy 1996), während andere der Ansicht sind sie gehören zu Dasyatidae, entweder als Subfamilie (Nelson 1994) oder als eine paraphyletische Gruppe (Nishida 1990). Die taxonomische Zusammensetzung der Familie Potamotrygonidae wurde revidiert von Rosa (1985), er erwähnt 32 Arten die zu dieser Familie gehören, 20 davon betrachtet er als valide Arten in drei getrennten Gattungen, Plesiotrygon, Potamotrygon und Paratrygon. An dieser taxonomischen Einteilung haben auch spätere Autoren festgehalten (Eschmeyer 1998, Compagno 1999) obwohl Rosa und andere gezeigt haben, dass noch mehrere unbeschriebene Arten (Rosa 1985, Carvalho 2001), und mindestens eine unbeschriebene Gattung existieren (Ishihara und Taniuchi 1995, Compagno 1999, Charvet-Almeida und Rosa 2001).

Potamotrygon leopoldi, auf Futtersuche im natürlichen Lebensraum.
Dies ist eine der begehrtesten Arten im Zierfischhandel.
Photo: Patricia Charvet-Almeida.

Fang von Rochen
Historisch betrachtet hatten Süßwasserrochen für die Fischer nur wenig Wert als Speisefische (Ferreira 1886). Trotzdem gibt es am Unterlauf des Amazonas einige Regionen wo man sie zum Verzehr fängt. Zusätzlich erlangten sie in den letzten 15 Jahren eine immer größere Bedeutung als Zierfische, ihr Anteil am gesamten Zierfischexport aus Manaus (Bundesstaat Amazonas) beträgt 1%. Mindestens 6 Arten werden regelmäßig als Zierfische exportiert:

Potamotrygon motoro, P. orbignyi
P. schroederi, P. leopoldi
P. henlei, Potamotrygon sp.

Ungefähr 67% aller aus Manaus exportierten Süßwasserrochen gehören zu diesen Arten und die drei zuletzt genannten leben endemisch in Gebieten, in denen Goldminen, Dämme und große Tourismusprojekte im entstehen sind. 20.000 Süßwasserrochen werden derzeit jährlich aus Brasilien exportiert. Ungefähr 57 % stammen aus dem Rio Negro Becken (Bundesstaat Amazonas). Ungeachtet dieses Bedarfs hat die Brazilian Environmental Agency (IBAMA) keine Fang- und Exportdaten über die Arten aus diesem Gebiet. Fänge aus anderen Gebieten werden oft falsch identifiziert, die Exportzahlen sind sicher zu niedrig geschätzt. Tatsache ist, dass P. leopoldi und P. henlei illegal aus Brasilien exportiert werden. Einige andere Arten aus dem Bundesstaat Amazonas werden in Übereinstimmung mit dem Gesetz Nummer 022/98 (IBAMA 2001) exportiert. Dieses Gesetz legt Quoten für alle zur Ausfuhr freigegebenen Arten fest.
(Anm. des Übersetzters: Dieses Gesetz erlaubte den Export der Arten P. motoro und P. cf. histrix. Im Jahr 2003 gab es neue Quoten (IBAMA No.036/2003). Jetzt durften die Arten P. leopoldi, P. henlei, P. orbignyi und P. schroederi erstmals seit vielen Jahren legal exportiert werden.)

Die wichtigsten Länder im Handel mit Potamotrygoniden sind die USA, Japan, Taiwan und Deutschland. Dort werden Stechrochen in Zoogeschäften angeboten. Häufig werden sie nicht mit korrektem Artnamen bezeichnet sondern mit einem Code für bestimmte Farbvarianten.

Im Amazonasbecken ereignen sich oft Unfälle an denen Süßwasserrochen beteiligt sind. Wegen der schmerzhaften Ergebnisse solcher Unfälle sind Stechrochen extrem unbeliebte und gefürchtete Tiere sowohl bei den Einheimischen als auch bei Urlaubern. In den letzten drei Jahren wurden schätzungsweise 21.000 Stechrochen als direkte Folge des Tourismus der Population entnommen. Die Tourismus-Industrie stellt extra Leute für "Säuberungsaktionen" ein, um die Flußstrände vor der Urlaubssaison zu "reinigen" indem sie die Stechrochen töten. Auch die Verstümmelung von Rochen wurde beobachtet. Unglücklicherweise gilt das Entfernen von Stechrochen auf diese Weise nicht als Fischfang, daher ist IBAMA nicht in der Lage es zu kontrollieren.

Fallstudie Tucuruí Damm
Die derzeitige Elektizitätskriese in Brasilien und der daraus resultierende Bedarf an neuen Wasserkraftwerken führt zu der Frage, welchen Einfluss Staudämme auf Süßwasserfische und speziell die Populationen der Süßwasserrochen haben. Momentan werden 21 neue Dämme errichtet und brasilianischen Wissenschaftlern läuft die Zeit davon, noch so viele biologische und ökologische Daten wie möglich zu sammeln, um den Einfluß auf die Fischpopulationen abschätzen zu können. Der Tucuruí Damm, fertiggestellt 1984, verhindert den Austausch von Stechrochen zwischen dem Tocantins und dem Pará.

Der Tocantins ist die Heimat der endemischen Stechrochenart Potamotrygon henlei, ein von Aquarianern sehr geschätzter schwarzer Rochen mit weißen Punkten. Siebzehn Jahre nachdem der Damm fertiggestellt wurde berichten Fischer, dass die Anzahl der Piranhas und Stechrochen, besonders P. henlei, stark angestiegen ist. Gleichzeitig sind einige Echte Knochenfische verschwunden, bei anderen wurde festgestellt, dass sie nicht mehr so groß werden wie früher. Die Stechrochen (P. henlei) haben gelernt Fische die sich in Kiemennetzen verfangen haben zu fressen und die Fischer tun ihnen nichts, weil die Menge die sie fressen nicht zu finanziellen Einbußen führt. Obwohl diese Beobachtungen auf eine positive Situation für P. henlei im Stausee hindeuten, kann man das nicht einfach auf andere Arten wie P. orbignyi oder Paratrygon aiereba übertragen, da bei diesen Arten über die Auswirkungen des unterbrochenen Genflusses zwischen den Populationen im Tocantins und Amazonas derzeit nur spekuliert werden kann.

Potamotrygon motoro, eine Art mit weiter Verbreitung, die auch als Zierfisch gepflegt wird.
Photo: Maria Lúcia G. Araújo.

Ökologie und Schutz
Bis vor kurzem wußte man praktisch nichts über die Biologie der potamotrygoniden Stechrochen, außer der Tatsache, dass sie seit Jahrzehnten gefangen werden und der Fang für den Zierfischhandel immer mehr zunimmt. Verschiedene Arten sind weiterhin unbeschrieben, werden aber gehandelt und weltweit von Aquarianern gepflegt.

Lasso et al. (1997), Araújo (1998) und Charvet-Almeida (2001) berichten über die Fortpflanzung und allgemeine Biologie einiger Arten. Da für die meisten Arten dieser Familie aber kein Datenmaterial vorliegt, ist eine genaue Einschätzung ihrer Gefährdung nicht möglich. Andererseits ist der Einfluss auf die natürlichen Populationen durch Lebensraumzerstörung (Bau von Staudämmen und Bergbau), aber auch durch den Fang für den Zierfischhandel offensichtlich. Welche Auswirkungen diese Aktivitäten auf die Populationen haben lässt sich derzeit überhaupt nicht abschätzen. Aber es wird befürchtet, dass einige Arten gefährdet sind. Bisher wurden 5 Arten in die Rote Liste (IUCN 2000) als potentiell bedrohte Arten aufgenommen.
(Anm. des Übersetzters: neuere Zählungen in 2003 haben ergeben, dass die Gefährdung einiger Arten zur Zeit nicht so groß ist wie zunächst angenommen, daher auch die Erlaubnis zum Export.)

Die Bedeutung von Süßwasser Stechrochen für die Zierfisch Industrie im Amazonas Gebiet kann nicht länger ignoriert werden, da die weltweite Nachfrage nach diesen Arten weiter steigt (Brooks 1995). Die Hobbyaquarianer verlangen nach diesen Fischen und das führt zu verstärkten Fangbemühungen. Ein Managementplan für den Fang muß eine Reihe komplexer Dinge berücksichtigen wie den Lebensunterhalt der Fänger, die Interessen der Aquarianer, die Umweltbedingungen in den Lebensräumen der Süßwasser Stechrochen und die Einschränkungen denen jede Art durch ihre Lebensweise unterliegt.

Quellen
Araújo, M. L. G. 1998. Biologia Reprodutiva e Pesca de Potamotrygon sp. C (Chondrichthyes - Potamotrygonidae), no Médio Rio Negro, Amazonas. Unpublished dissertation. Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia & Universidade do Amazonas, Manaus.

Brooks, D. R. 1995. Neotropical freshwater stingrays and their parasites: a tale of an ocean and a river long ago. In: Oetinger, M. I. and G.D. Zorzi (eds.). The Biology of Freshwater Elasmobranch. Journal of Aquariculture and Aquatic Sciences 7:52-61.

Charvet-Almeida, P. 2001. Ocorrência, Biologia e Uso das Raias de Água Doce na Baía de Marajó (Pará, Brasil), com Ênfase na Biologia de Plesiotrygon iwamae (Chondrichthyes: Potamotrygonidae). Unpublished dissertation. Universidade Federal do Pará & Museu Paraense Emílio Goeldi. 213 pp.

Carvalho, M. 2001. An overview of the taxonomy of Neotropical freshwater stingrays (Chondrichthyes: Myliobatiformes: Potamotrygonidae). Abstracts of the Joint Meeting of Ichthyologists and Herpetologists. American Society of Ichthyologists and Herpetologists. Pennsylvania State University, State College, PA.

Charvet-Almeida, P. and R.S. Rosa. 2001. A New Genus and Species of Freshwater Stingray (Potamotrygonidae) from the Lower Amazon Drainage. Abstracts of the Joint Meeting of Ichthyologists and Herpetologists. American Society of Ichthyologists and Herpetologists. Pennsylvania State University, State College, PA, USA.

Compagno, L. J. V. 1999. Checklist of living elasmobranchs. In: Sharks, skates and rays, the biology of elasmobranch fishes. W. C. Hamlett (ed.). The John Hopkins University Press, Baltimore. p. 471-498.

Eschmeyer, W. N. 1998. Catalogue of fishes. California Academy of Sciences. San Francisco.

Ferreira, A. R. 1886. Viagem Filosófica ao Rio Negro. Revista do Instituto Histórico Geográfico Brasileiro, XLIL (1):123-188.

IBAMA - Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis. 2001. Portaria no 022/98.

Ishihara, H. and T. Taniuchi. 1995. A strange potamotrygonid ray (Chondrichthyes: Potamotrygonidae) from the Orinoco River system. In: Oetinger, M. I. and Zorzi, G. D. (eds.). The Biology of Freshwater Elasmobranch. Journal of Aquariculture & Aquatic Sciences 7:91-97.

IUCN. 2000. 2000 IUCN Red List of Threatened Species. Compiled by C. Hilton-Taylor. International Union for Conservation of Nature and Natural Resources. Gland, Switzerland and Cambridge, UK.

Lasso, C. A., A.B. Rial and O. Lasso-Alcalá. 1997. Notes on the biology of the freshwater stingrays Paratrygon aiereba (Müller and Henle 1841) and Potamotrygon orbignyi (Castelnau 1855) (Chondrichthyes: Potamotrygonidae) in the Venezuelan llanos. Acqua, 2(3):39-50.

Lovejoy, N. R. 1996. Systematics of myliobatid elasmobranchs: with emphasis on the phylogeny and historical biogeography of neotropical freshwater stingrays (Potamotrygonidae: Rajiformes). Zool. J. Linn. Soc. 117:207-257.

Nelson, J.S. 1994. Fishes of the world. New York, John Willey & Sons.

Nishida, K. 1990. Phylogeny of the Suborder Myliobatidoidei. Mem. Fac. fisher. Hokkaido Univ. 37:1-108.

Rosa, R. S. 1985. A systematic revision of the South American freshwater stingrays (Chondrichthyes: Potamotrygonidae). Unpublished doctoral dissertation. The College of William and Mary, Williamsburg. 523 pp.

Rosa, R. S., H. Castello and T.B. Thorson. 1987. Plesiotrygon iwamae, a new genus and species of Neotropical freshwater stingray (Chondrichthyes: Potamotrygonidae). Copeia 2:447-458.

Thorson, T. B., D. R. Brooks and M. A. Mayes. 1983. The evolution of freshwater adaptation in stingrays. Nat. Geog. Res. Reports 15:663- 694.



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